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Der Spaziergang

Traumwelt


Frisör, Arztpraxis, Gärtnerei, Tankstelle, Zahnarzt, Schneider, Tapezierer - Leiter, Schere, Bohrer, Zapfsäule, Gewächshaus, Stethoskop, Trockenhaube.


Der Betrachter hat Spaß beim Finden und Wiedererkennen. Im Strandbad oder in der Bahnhofshalle – Situationen, denen in den Bildern formal wenig Platz zukommt, magnetisieren, ziehen ihn in Räume hinein, wo er Erinnerungen, Geschichten und Fragmente seiner eigenen Bildarchive integriert.


Die jeweiligen Konstellationen wachsen nicht nur durch die Erlebnisse des Betrachters, diese gezeichneten Situationen werden vor allem durch die Malerei in Szene gesetzt, von ihr umgeben und infiltriert. Für die kleinen überwiegend gelb- und orangefarbenen Elemente sind Mauern kein Hindernis, sie gleiten durch sie hindurch in den Nachtclub, ins Hotel, zur Hausfrau in die Küche und wieder hinaus. Obwohl sie in Bewegung sind, verschaffen sie den Menschen in den Räumlichkeiten Schutz, fungieren als Ersatz für die in den Zeichnungen fehlenden Böden, Dächer und Wände, was mich u. a. an Lars von Triers inszenatorisches Konzept seiner amerikanischen Trilogie denken lässt, wo Wände lediglich Striche auf dem Boden sind, die den Menschen ihre Privatsphäre zusichern.
Über die belebenden Farben gelegt sattes Schwarz, Schwarz, das in westlichen Kulturen die symbolische Bedeutung Tod und Trauer hat, lässt Vordenbäumen als Drittes gestalterisches Element weitere organische Gebilde in der Serie treiben. Der Betrachter lässt seine Phantasie spielen sieht über dem Klassenzimmer einen Geistesblitz aufleuchten oder erblickt im Café einen gefräßigen Geier, der vor einer Riesenschlange erschrickt. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traumwelt sind aufgehoben. Vor dem Bahnsteig formiert sich die in schwarzer Farbe demonstrierte, für uns üblicherweise unsichtbare Dynamik zu einer Brücke, einem Übergang. Das Schlafzimmer ist als einziger Raum gänzlich von ihr umschlossen, abgeschirmt für den Mensch gegen ein Übergewicht an Realität.


Inhaltlich und formal weicht das Bild Spaziergänger von allen anderen dieser Serie ab. Die Silhouette einer Person umschließt eine weitere Figur. Ist es die Frau im Manne, die zweite Seele, ach, in meiner Brust, ein Alien, der von einem menschlichen Körper Besitz ergreift? Oder doch kein zweites Wesen, sondern eine Strömung, die den Körper durchzieht und dadurch dessen Form annimmt? Die Schattenbildperson steht auf etwas, das mit der Erdanziehungskraft konkurriert. Sie ist einem anderen Magnetismus ausgesetzt, vom Weltlichen abgekehrt. Ein roter Bereich umrankt sie, Rot mit dem Symbolwert Liebe und Leidenschaft, der Farbe, die die größte Wellenlänge im sichtbaren Spektrum besitzt. Vielleicht vom Blutkreislauf umgeben, dem überwundenen, oder dem aller Lebenden, kommuniziert sie innerhalb der Serie „Spaziergang“ mit den Arbeitern in der Kfz-Werkstatt, den Menschen in der Bahnhofshalle und im Hotel. Sie weiß, ob es sich bei der schwarzen Gestalt beim Optiker, die dort eine passende Brille für sich erspäht, um den verkörperten Tod handelt oder um eine Transformation post mortem, weiß, ob die in den hellen Farben gehaltenen Elemente das Feinstoffliche, das alles Verbindende, auch hinsichtlich Raum und Zeit, repräsentieren und unsere Körper durchzieht solange wir leben, und uns zumindest in diesem Prozess an der Unaufhörlichkeit teilnehmen lässt.


Vordenbäumen verzichtet in dieser Serie auf Dächer und Wände, um auf das zuletzt genannte Phänomen hinzuweisen, also durch weniger mehr zu zeigen. Er benutzt hier ausschließlich kleine Formate, malt weder die Gesamtfläche noch alle Details aus, deutet sie teilweise nur an. Bei aller Minimierung jedoch fügt er seiner Malerei Abbildungen von Menschen, konturierte Figuren, hinzu und weckt das Interesse an einem ausgiebigen Spaziergang durch sein Werk.


Denn wie im Filmstudio, auf dem Campingplatz, im Restaurant oder in der Metzgerei schweben die kleinen hellen Elemente auch in vielen anderen Arbeiten Vordenbäumens, wo sie nun zu definieren sind. Es handelt sich um zeitlose, also auch gegenwärtige Energien, die der Realität wie der Traumwelt gleichermaßen angehören. Wir leben in einem Dickicht von Geistern und Teilchen und könnten, wären sie sichtbar, unsere eigenen Hände nicht erblicken, möglicherweise nichts mehr von dem erkennen, was uns in der Realität umgibt. Dies also vermittelt uns die für Vordenbäumen typische Komplexität, die organische Dichte, die wir in seiner Malerei wie in den Collagen und auch in seiner Fotografie finden. Wir bedurften seines „Spaziergangs“, dieses Weniger, um das Mehr in seinen Bildern zu verstehen und es darüber hinaus um uns herum wahrzunehmen.


L. Guizzy